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Thomas Dollinger


 

(April 2014) Freier Fall - zurück ins Leben

Im Sommer 2006 war die Welt für mich noch in Ordnung. Ich war Ende zwanzig, frisch verheiratet, hatte eine tolle Stelle als Ingenieur und fühlte mich topfit. Ich wohnte und arbeitete in der Nähe von Ingolstadt, meine Frau in Pegnitz. Mein Leben war zwar bisher anstrengend, aber der Fleiß hatte sich gelohnt.

Anfang November 2006 teilte mir mein untersuchender Arzt in Regensburg mit, dass ich ALS habe und mir voraussichtlich noch drei Jahre bleiben würden. Da ich mit der Diagnose erstmal nichts anfangen konnte, meinte er „Na wie der Physiker Stephen Hawkins“. Der war mir natürlich ein Begriff. Nach vielleicht vier Minuten war das Gespräch beendet und ich fuhr wieder nach Hause.

Aus meinem angeblichen Magnesiummangel war also ein Albtraum geworden. Meine Gesundheit und damit auch meine Selbstständigkeit ließen langsam aber stetig nach und der Kampf mit Versicherungen und Behörden war zermürbend. Trotzdem haben meine Frau und ich gekämpft.

Bis Mitte 2007 habe ich weiter gearbeitet und weder Kollegen noch Mitarbeiter über meine veränderte Situation informiert. Nur mein Chef und enge Vertraute wussten, dass sie zügig einen Nachfolger für mich suchen mussten. Warum ich mich sozusagen versteckt habe, weiß ich nicht. Wahrscheinlich wollte ich keine Schwäche zeigen. Aufgefallen ist es mit Sicherheit, dass mein Gang immer unsicherer wurde und Treppen nur noch mit Einhalten gingen. Vermutlich haben einige gedacht, ich hätte ein Alkoholproblem. Meine immer undeutlichere Sprache hatte da auch nichts entgegenzusetzen. Irgendwann konnte ich dann einfach nicht mehr und wurde krankgeschrieben, um kurz darauf verrentet zu werden.

Da ich nun örtlich ungebunden war und meine Frau eine feste Stelle in Pegnitz hat, suchten wir eine gemeinsame Wohnung in Pegnitz, die möglichst gut mit einem Rollstuhl befahrbar ist. Gefunden haben wir nur eine, bei der ich über den Garten meist reingekommen bin. Außer bei starkem Regen oder bei Schnee. Ende 2007 habe ich nach langer Wartezeit endlich meinen ersten Rollstuhl bekommen. Alleine laufen konnte ich da schon seit Wochen nicht mehr. Aber bis so was mal genehmigt ist…

Ich habe mir ein Auto mit Automatikgetriebe besorgt und bin zum TÜV, der meine Fahrtauglichkeit trotz meiner Einschränkungen attestierte. Jetzt war ich also wenigstens wieder mobil. Zumindest theoretisch. Ich ging nämlich nicht mehr raus. Außer zu Besuch zu meinen Eltern oder in Urlaub, wo mich garantiert niemand kannte.

Anfang 2010 lernten wir dann die damalige Koordinatorin im Hospizverein Bayreuth kennen. Sie hat uns zu Hause besucht und uns angeboten, jemanden zu suchen, der/die uns begleitet, Zeit für uns hat und einfach da ist, wenn wir jemanden zum Reden brauchen. Da ich ja ursprünglich aus Oberbayern komme, dachte sie, dass mir die ebenfalls Exil-Oberbayerin Marlies bestimmt guttun würde. Daraus ist dann auch eine sehr schöne Freundschaft geworden. Wir haben uns mit Marlies und ihrem Mann, unserem Freund Toni, dann öfters mal in der Eisdiele getroffen. So wurden mir Schritt für Schritt die Hemmungen genommen, mich in der Öffentlichkeit zu zeigen.

Ein Jahr darauf habe ich mich von meiner tollen Frau dann zu einem Urlaub in einem Rollstuhlhotel im Allgäu überreden lassen. Dort haben wir ganz viele Menschen mit den unterschiedlichsten Handicaps kennen gelernt und viel neue Technik und Herangehensweisen für verschiedenste Probleme gesehen. Bei einem jungen Paar, das dort ebenfalls gerade Urlaub machte, hat sich herausgestellt, dass sie aus einem Ortsteil von Pegnitz sind. Auch zu ihnen hat sich eine tolle Freundschaft gebildet. Seit dem machen wir jedes Jahr Urlaub im Rollstuhlhotel im Allgäu, weil ich dort wenigstens für ein paar Tage nicht der Exot im Rollstuhl bin und einfach alles passt.

Trotzdem ich seit 2010 Pflegestufe III habe und sehr eingeschränkt bin, sind wir wieder viel unterwegs und unternehmen so einiges. 2013 konnten wir in Creußen endlich eine barrierefreie Wohnung beziehen, die uns das Leben sehr erleichtert hat. Im Sommer 2014 werden wir dennoch wieder nach Pegnitz ziehen, da wir dort nun eine barrierefreie 3-Zimmer-Wohnung beziehen können, die unseren Bedürfnissen angepasst ist und auch in der Nähe der Arbeitsstelle meiner Frau liegt.

Ich habe meinen Weg zurück ins Leben dank der Hilfe des Hospizvereins Bayreuth also gefunden und mag mich auf diesem Weg ganz herzlich für die tolle und wertvolle Arbeit bedanken!

Thomas Dollinger

 

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